“Hans Litten war fanatisch, wie einer, der die letzte Schlacht schlägt. Er verstand es, die Strauchelnden auf dem Drahtseil zu führen, bis es nicht mehr weiterging.” —Max Fürst
Wann wird man zum Widerstandskämpfer? Erst wenn man mit der Waffe in der Hand gegen das Unrecht antritt? Wenn man Flugblätter verteilt, im Untergrund lebt, politisch aktiv wird? Oder ist auch Widerstandskämpfer, wer seine damals illegale Menschlichkeit in Gefängnisse und Konzentrationslager trug? Hans Litten tat eben das. “Halbjude” getreu der Nazi-Ideologie, war er Rechtsanwalt und Verteidiger der Arbeiter in ihrem Kampf gegen die Nationalsozialisten. Im Februar 1933 wurde er verhaftet, kam in die Konzentrationslager Sonnenburg, Esterwegen, Lichtenburg, Buchenwald und Dachau, wo er in der Nacht zum 5. Februar 1938—nach jahrelangen Torturen unter den Nazis—erhängt aufgefunden wurde.
Am 7. Februar 1998 erinnerte eine Gedenkveranstaltung in Dachau—organisiert vom Förderverein für Internationale Jugendbewegung Dachau, unter dem Motto “Ohne Dachau kein Auschwitz”—an den 60. Todestag von Hans Litten. 130 bis 140 Gäste—von ganz jungen, über Studenten und ehemaligen Häftlingen bis zu Vertretern wichtiger Organisationen von Rechtsanwälten—nahmen teil. Eine erste Gedenkfeier für Litten wurde 1988, zu seinem 50. Todestag in Dachau abgehalten, bei der erstmals auch der Hans Litten-Preis vergeben wurde.
Trotz allen Anstrengungen an Hans Litten zu erinnern, seinen Leidensweg kennen nur wenige. Es scheint fast so, als würde sich keine Opfergruppe richtig mit ihm identifizieren wollen: Für Juden ist Hans Litten nicht jüdisch genug (nur sein Vater war Jude, der sich taufen ließ) und für Widerstandskämpfer war er nicht militant genug. Wer also war Hans Litten?
Ein politischer Gefangener im KZ
Litten kam als politischer Gefangener ins KZ und musste den roten Winkel tragen, und erst später, als die Nazis herausfanden, dass er Jude war, kam er in Dachau in den “Judenblock”. Als seine Mutter ihn dort das letzte Mal besuchen durfte, trug er den gelben Stern. “Beim Abschied blickte er mich mit einem unendlich liebevollen und traurigen Lächeln an. Er wusste, dass wir uns nicht mehr wiedersehen würden”, erinnerte sie sich in ihrem Buch Eine Mutter kämpft gegen Hitler (1947).
Hans Litten arbeitete als Anwalt der “Roten Hilfe” in Berlin, die 1924 gegründet wurde und Arbeiter vertrat, die wegen politischer Gesinnung inhaftiert wurden. Litten hatte des Öfteren Ärger mit den Kommunisten, da er keine Märtyrer produzieren, sondern Freisprüche erreichen wollte. Und bei den Nazis war er bald so verhasst, dass er kurz vor der Machtergreifung nur noch unter Bewachung auftreten konnte. Sein Schicksal war besiegelt, als er beim sogenannten “Edelpalastprozeß” im Mai 1931 gegen eine Horde SA-Leute (Sturm 33), die Arbeiter bei einer Versammlung angegriffen hatten, Hitler als Zeugen berief, ihn öffentlich blamierte, es schaffte, dass sich der Führer unter Eid in seinen eigenen Lügen verstrickte und Litten mit hochrotem Kopf im Gerichtssaal anbrüllte. Litten erzählte später, Hitler hätte geschrien “wie eine hysterische Köchin”. Diese öffentliche Blamage wurde dem Anwalt nie verziehen. Hitler war sich der Gefahr bewusst, in die ihn Litten gebracht hatte. Und er verfolgte ihn von da ab mit abgrundtiefem Hass. Auch die Wut des Sturm 33 war maßlos—und sie ließen sie später an Litten aus, als sie in endlich in ihrer Gewalt hatten.
Vom Tage seiner Inhaftierung an hatte seine Mutter vergeblich in den höchsten Kreisen interveniert, nutzte ihre guten Beziehungen, um das Leben ihres Sohnes zu retten. Sie schrieb Bittgesuche an Hitler, Rudolf Hess und Himmlers Adjutanten, an Wilhelm Furtwängler und Emmi Sonnemann, die später Görings Frau wurde. Roland Freisler, später Vorsitzender des berüchtigten Volksgerichtshofs, wandte sich persönlich an Hitler und teilte Frau Litten schließlich mit: “Niemand wird etwas für Litten tun können. Hitler verfärbte sich rot, als er seinen Namen hörte.”
“Jeder, der für Litten interveniere”, habe Hitler gesagt, komme sofort ins Lager, “selbst wenn Sie es sind”.
“Hitler ist beschäftigt!”
Die Antworten, die Frau Litten im feinsten Beamtendeutsch von den diversen Stellen erhielt, waren dementsprechend infam. Im Dezember 1933 erreichte sie die lapidare Antwort von der “Direktion des staatlichen Konzentrationslagers Brandenburg”, vom Kommandanten der Lagerwache: “…zurückgesandt mit der Bemerkung, dass ich Ihnen keine Sprecherlaubnis erteilen kann. Die Gründe dafür kann ich Ihnen nicht mittteilen.” (Schreibfehler im Original!). Oder das Antwortschreiben von der Gestapo, Prinz-Albrechtstraße Berlin, Anfang 1935: “Nach Prüfung des Sachverhaltes sehe ich keinen hinreichenden Anlass, die gegen Ihren Sohn Litten verhängte Schutzhaft aufzuheben”. Auf ihren Wunsch auf eine persönliche Audienz bei Hitler, erhielt Irmgard Litten im März 1935 folgende Antwort: “Der Führer und Reichskanzler ist durch die ständigen Anforderungen der Politik und der Staatsführung bis an die äußerste Grenze seiner Arbeitskraft in Anspruch genommen.” Zu diesem Zeitpunkt war Litten schon fast zu Tode gemartert, hatte ein steifes Bein, eingeschlagene Zähne und war auf einem Auge blind.
Der ehemalige Chefredakteur der seit 1934 in New York erscheinenden deutsch-jüdischen Zeitung Aufbau, Henry Marx, erinnerte sich an eine Begegnung mit Litten am 14. Juli 1934 im KZ Lichtenburg: “Erich Mühsam war vier Tage vor unserer ‘Übersiedelung’ ermordet worden. Man zeigte uns auf unserem ersten Spaziergang […] den Anwalt Hans Litten, aus Papenburg, mit einem verkürzten Bein und bereits schwer misshandelt nach Lichtenburg gebracht” (Aufbau, 21. Juli 1989). Frau Litten erreichte jedoch noch am 29. Oktober 1935 die Nachricht vom Lagerkommandanten des KZ Lichtenburg, “dass bei Ihrem Sohn nichts vorliegt, was zu Besorgnissen Anlass geben könnte. Eine Unterbrechung der Haft aus gesundheitlichen Gründen ist nicht notwendig. Er wird hier zu leichten Innenarbeiten herangezogen und fühlt sich den Umständen entsprechend wohl”.
“Es war Hans Litten, der uns beibrachte, dass Denken Spaß macht”
“Wer ist also zu bedauern, der Mann, der starb, oder das Volk, das solche Menschen vergeudet hat?”, fragt Max Fürst in seiner Autobiographie Talisman Scheherezade (Ich kenne Max seit meiner Kindheit). Max Fürst lernte Litten 1920 bei der jüdischen Jugendgruppe der Schwarze Haufen(siehe auch Kasten links) kennen. Und seine Frau Margot Fürst war Littens Sekretärin bis zu dessen Verhaftung. Sie hatte der Zeugenvernehmung Hitlers beigewohnt, hatte nach der Verhaftung Littens die Prozessakten in Sicherheit gebracht. Beide wurden bei dem Versuch, Litten zur Flucht zu verhelfen, festgenommen.
“Hans war fanatisch, wie einer, der die letzte Schlacht schlägt”, schreibt Max Fürst. “…[Er] verstand es, die Strauchelnden auf dem Drahtseil zu führen, bis es nicht mehr weiterging. Tatsächlich war Litten eher scheu, mit einer Neigung zum Mystizismus. […] Hans war ebenso sensibel, wie scharf denkend. Er war ein großer Anreger, der einem beibrachte, dass Denken Spaß machte. Es war Hans Litten, der uns durch seine Philosophie und Kunstbetrachtung dazu anregte, größere Zeiträume zu sehen, ohne die Gegenwart zu ignorieren”, schreibt Max Fürst.
“Hans war ein zäher, unermüdlicher Arbeiter”, erinnert sich Margot Fürst heute. “Begabt, mit einer schier unglaublichen Gedächtniskraft. Irgendwann regte ich an, einen Sonntag einmal für einen Ausflug ins Freie zu nützen. Ein Blick aus großen, traurigen Bärchenaugen und die erstaunte Frage ‘Du willst nicht arbeiten?’ waren das Ergebnis.” Das letzte Mal sahen die Fürsts Hans Litten im Sommer 1933 im Gefängnis-Krankenhaus in Moabit nach seinem ersten Selbstmordversuch. Er war gerade aus der Bewusstlosigkeit erwacht und sagte nur “Warum hat man mich nicht sterben lassen?”
Erst nach weiteren langen Jahren der Quälerei und der Demütigung konnte sich Litten 1938 durch Selbstmord endgültig der Barbarei entziehen. “Den Nazis war Littens Tod eher unangenehm”, erinnert sich Margot Fürst. “Litten war in der letzten Zeit nicht mehr gequält worden, weil er zu sehr ins Gespräch gekommen war. Die Nazis hatten ja getan, was sie erreichen wollten”. Litten sei Pessimist gewesen, meint Margot Fürst. Und auf die Frage, was ihr an ihm am meisten in Gedächtnis geblieben sei, antwortet sie nach längerem Nachdenken. “Seine große Angst—und seine große Tapferkeit”.
Gedenkstätte Dachau—http://www.kz-gedenkstaette-dachau.de/
“Bis zur letzten Schlacht” von Stefanie Schüler-Springorum, erschienen im Freitag, 27.6.2003
“Denkmalsfigur Biographische Annäherung an Hans Litten 1903-1938” von Knut Bergbauer, Sabine Fröhlich und Stefanie Schüler-Springorum, Wallstein Verlag, Göttingen, ISBN 978-3-8353-0268-6
Hans Litten – Ein Rechtsanwalt im Kampf gegen den Faschismus
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