Aufbau “Unser Aller Tagebuch”

German Jews in New York
Aufbau Leser

New York, vor einigen Jahren: Das Telefon klingelt in der Aufbau-Redaktion am Broadway. “Ist das der Aufbau?” haucht eine ältere Dame mit zitternder Stimme auf Deutsch. Ich bejahe. “Kindchen, sagen Sie mir doch bitte, wie spät es ist, ich habe meine Uhr verlegt.”

Solche Anrufe waren keine Seltenheit beim Aufbau, denn die deutsch-jüdische Emigrantenzeitung war Heimat, Helferin und Halt. Der Aufbau—1934 in New York als kleines monatliches Nachrichtenblatt des German-Jewish Club (später umbenannt in New World Club) begründet—war das Sprachrohr der deutschen Juden in den USA. Dort konnten exilierte Schriftsteller wieder auf Deutsch publizieren. Über die Zeitung fanden die Immigranten die erste Unterkunft, die erste Arbeitsstelle und den Mut zu einem neuen Leben; hier erhielt man Sprachunterricht und lernte Celsius in Fahrenheit oder Meter in Inches umzurechnen. Mit Hilfe des Aufbau—”unser aller Tagebuch”, so der Schriftsteller Hans Habe—konnten sich die über 130 000 deutschsprachigen Juden, die nach 1933 in die USA flohen, einleben und sehr bald als Amerikaner fühlen.

Manfred George
Manfred George

Mit Anwachsen der deutsch-jüdischen Einwanderung entwickelte sich das Blatt Ende der dreißiger Jahre unter der Leitung des früheren Berliner Ullstein-Redakteurs Manfred George zur wichtigsten wöchentlich erscheinenden Immigrantenzeitung, die in den Jahren des Krieges und den ersten Nachkriegsjahren eine unentbehrliche politische und menschliche Rolle spielen sollte. Durch den Aufbau entdeckten die Leser nicht nur Amerika und lebten sich ein—auch die Amerikaner entdeckten die deutsch-jüdische Immigration. Diese wurde zum Beweis für die Existenz eines anderen Deutschlands.

AufbauDeutsche Juden in den USA hatten es anfangs schwer, besonders nach Kriegsausbruch, denn sie kamen aus dem Land des Feindes. Auch fanden sie sich plötzlich “unter fremden Menschen, in fremder Sprache in einen Existenzkampf geworfen, dessen primitivste Technik ihnen unvertraut ist. [In ihnen] regt sich im Unterbewusstsein die paradoxe Sehnsucht nach einem Lande, das ihnen alles, aber auch alles genommen, in dem sie aber schon einmal ihren Wert bewiesen haben” (Aufbau, 1. 12. 1936).

Sie hatten Heimweh. Doch “wer kein Heimweh hat, wird dieses Land nie lieben lernen”, hieß es in einem Leserbrief an den Aufbau im September 1940. Sie wohnten fast ausschließlich in der Upper West Side in Manhattan oder an der Nordspitze der Insel, in Washington Heights, im sogenannten “Vierten Reich”, auch “Frankfurt am Hudson” genannt. “Wenn [jemand] dieses Gemeinschaftsbedürfnis nicht hat”, schrieb ein Leser im Aufbau(1. 1. 1935), “ist [er] entweder asozial oder ein Genie.”

Man biß sich durch, mit eisernem Willen, Hitler zum Trotz. “So schlagt den Mantel um die Schulter, und zögert nicht, weiterzugehen in der Nacht”, rief Carl Zuckmayer die Aufbau-Leser auf (Aufbau, 20. 3. 1942). “Jagt einen Schnaps durch Eure Kehle, und schaut ohne Furcht in die schaurig durchfunkelte Finsternis. Liebt und haßt, seid Menschen, bereit zu atmen, zu kämpfen, zu zeugen und zu sterben […].”

Die deutsch-jüdische Emigration war keine politische Emigration. “Seien wir Juden Hitler dankbar dafür, daß er uns die Chance versagt hat, im Lande zu bleiben und uns umzustellen. Seien wir immerhin stolz auf das kulturelle Erbgut, das wir aus Deutschland mitgebracht haben. Aber: Laßt uns vergessen, was war—laßt uns lernen, vorwärts zu schauen” (Aufbau, 1. 12. 1936). Doch Hannah Arendt warnte (Aufbau, 30. 6. 1944): “Niemand weiß recht, was man mit [den deutsch-jüdischen Einwanderern] anfangen soll, wenn die Barmherzigkeit erst einmal zu ihrem Recht und zu ihrem notwendigen Ende gekommen ist.”

AufbauViele mussten ganz von unten anfangen, Arbeiten annehmen, die ihnen in Deutschland peinlich gewesen wären. Die Frauen, die über die Hälfte der deutschen Immigranten ausmachten, fanden in der Regel leichter Arbeit als die Männer. Viele waren gezwungen, zum ersten Mal in ihrem Leben Geld zu verdienen. Sie lernten um, und es fiel ihnen oft weniger schwer, sich in der neuen Welt einzuleben.

“Hier in Amerika bin ich Türvorsteher in einem Kino”, schrieb ein Leser 1940. “Ich stehe […] in schmucker Uniform mit goldenen Knöpfen, silbernen Schnüren und einem roten Generalstreifen an der Hose. Ich bin Doorman Nummer 7, und damit muß ich zufrieden sein […] Ich muß meiner Verpflichtung nachkommen und lächeln—immer nur lächeln. Aber mit diesem Doorman-Posten konnte ich Frau und Kind aus der Hölle des Verderbens retten und ihnen die notwendigen Papiere schicken. Und wenn ich an meinem langen Tage zehn Stunden gestanden habe und in gedrückter Stimmung nach Hause gehe, so habe ich jedesmal einen Lichtblick. Es ist wieder Donnerstag, und der Aufbau liegt vor meiner Tür.”

Die Frauen, die rund 56,6% der Immigranten ausmachten, fanden leichter Arbeit als die Männer. Viele waren gezwungen, zum ersten Mal Geld zu verdienen. Dies war eine Immigration, in der Frauen “vielfach ihre Männer aus den Konzentrationslagern geholt und Kinder und Kranke auf ihrem Rücken über die Pyrenäen geschleppt hatten, als die Flucht aus Frankreich begann” (Aufbau 22.12.1944). “Unvergesslich der Tag, als man sich zum ersten Male wieder ein Buch kaufen konnte […] Da spürten wir, dass es aufwärts ging. Und das der schwere Weg der körperlichen Arbeit auch zu kulturellen Freuden führen kann und in geistiges Neuland”.

Innerhalb weniger Jahre waren die deutsche Juden in die amerikanische Kriegswirtschaft integriert; sie wurden Geschäftsleute, Dozenten, Professoren, Freiberufler, Ärzte und arbeiteten in der Filmindustrie (1937 gingen 40% aller Oskars an Filme, die von deutschen Juden in Hollywood produziert, gedreht, finanziert oder gespielt wurden). Viele deutsch-jüdische Einwanderer—34% aller wehrpflichtigen Immigranten—kämpften in der U.S. Armee. “Du wächst ein, Immigrant—welch ein steigendes Gefühl der Geborgenheit in Dir, welch ein organisch Dich einspinnendes Empfinden, dass Deine Wurzeln tiefer liegen als das Pflaster, das Du trittst” (Manfred George, 28.1.1949). “Keine andere Einwanderergruppe schaffte es wie die deutschen Juden, sich so schnell in Amerika einzuleben”, zitierte der Aufbau den U.S. Commissioner of Immigration and Naturalization, Earl G. Harrison.

Die Auflage der Zeitung stieg von 500 (1934) über 14 000 (1941) auf mehr als 30 000 (1944), bei einem Umfang von mehr als vierzig Seiten. Der Aufbau publizierte dann auch eine Beilage für die Westküste, und jede Ausgabe wurde durchschnittlich von zehn Personen gelesen. Augenzeugenberichte aus dem Warschauer Ghetto, von Appellen in Konzentrationslagern oder von öffentlichen Erschießungen wechselten sich mit Inseraten für Tanzbälle und Anzeigen für Mieder. Der Aufbau war der Spiegel einer Generation, die angesichts des Chaos, der furchtbaren Nachrichten aus Europa und geplagt von der Ungewissheit über das Schicksal von Familienangehörigen versuchte, Alltag zu leben und emotional zu überleben. Es war “eine Leserschaft, die geistigen und materiellen Schutz gegen die Gewitter der Zeit sucht”, meinte Manfred George.

Aufbau New YorkAufbau inmitten der Ruinen”, schrieb Fritz von Unruh am 22. 12. 1944: “Keiner, der besser wüßte als wir, wie schwer solches Unterfangen tagtäglich ist. Und wie leicht, es zu kritisieren oder zu bespötteln.” Alfred Kerr schrieb im gleichen Jahr (Aufbau, 1. 5. 1944): “Der Aufbau ist mehr als ein Trost. Er wird etwas Geschichtliches gewesen sein. In der Diaspora das Zentripetale. In der Versprengung ein Magnet.” Und Thomas Mann sagte über die Zeitung (Aufbau, 15. 7. 1949): “In diesem ereignisvollen Jahrzehnt [ist diese Zeitung] eine Macht geworden—und eine wohltätige […] Aufbau, ein rüstiger, redlicher, gutwilliger Titel. Ich bin nicht für Abenteuer der Zerstörung, sondern für das schönere Abenteuer des Werkes. Möge eine schwankende, nach Untergang halb lüsterne Welt sich ihre gute Parole zu Eigen machen.”

Diese schwankende Welt beschreibt auch der Dichter Berthold Viertel (Aufbau, 19. 1. 1940):

Man hat dir dein Gepäck
Erleichtert sehr!
Du schleppst keinen Besitz
Und keine Würde mehr.

Ein Deutscher warst du gern.
Doch ausgespannt
Ward dir dein Land—du bist
Ein Emigrant.

Und was dein Stand auch war
Den Posten und den Paß,
Das alles wardst du los
Beim großen Aderlaß.

Jetzt bist du niemand, nichts
Als nur ein Mensch allein.
Geduld! Einst werden alle,
Alle Menschen sein.

Aufbau“Als der Aufbau begann, war gerade die große Sintflut der Schmerzen entfesselt worden”, reflektierte Manfred George am 22. 12. 1944 in der Ausgabe zum zehnjährigen Jubiläum der Zeitung. “Schwer war der Kampf, das scheinbar Unglaubliche glaubhaft zu machen. Aber immer war uns klar: Wenn je ein Blatt die Pflicht hatte, zu sprechen, dann war es der Aufbau, der letzte publizistische Sammelpunkt der Verfolgten und Gepeinigten. Der Aufbau mahnte und—warnte. […]Lesergemeinschaft war Schicksalsgemeinschaft. Die Vertriebenen Europas schrieben ihr Blatt gewissermaßen selbst. [Der Aufbau] und seine Leser haben in diesem Land doppelt heimgefunden: zur Freiheit amerikanischen Bürgertums und seiner demokratischen Weltanschauung und zur Freiheit, zu sein, was unsere Vorfahren waren: Söhne und Töchter des jüdischen Volkes. Wir haben hier ein großes Glück gefunden: ganz sein zu können.”

Kaum eine andere Einwanderungsgruppe war so verwurzelt in ihrer Sprache wie die deutschen Juden. Sie suchten ein deutschsprachiges Forum, denn sie konnten und wollten ihre Kultur nicht vergessen. Das Land—und der Aufbau— forderten von ihnen eine schnelle Amerikanisierung; diesen Spagat—Anpassung, Loyalität und Patriotismus zu einem neuen Land auf der einen und die Sehnsucht nach der vertrauten Kultur auf der anderen Seite—erleichterte ihnen die Zeitung. “Wir halten es keineswegs mit denen, die plötzlich vergessen wollen, worin sie einmal gelebt haben und was, namentlich in Literatur und Kunst, ihnen schöpferischer Lebensinhalt war. Wir bewahren das—aber unsere Gedanken und unser Wille ist nach vorwärts gerichtet, in das amerikanische Leben hinein”, erklärte Manfred George (Aufbau, 31. 5. 1940).

Dennoch entbrannte in den vierziger Jahren unter den Immigranten eine heftige Diskussion um die deutsche Sprache, die Sprache des Feindes, nachdem der Aufbau seinen Lesern nahegelegt hatte, “besonderen Takt bei jedem öffentlichen Auftreten” zu üben (2. 1. 1942): “Leise, unauffällig, zurückhaltend zu sein, das ist für die kommenden Monate und Jahre im allereigensten Interesse das dringende Gebot für jeden Mitbürger.”

Die Zeitung wollte die deutsche Sprache “von der Gewalt, die der Nationalsozialismus ihr antut”, freihalten. “Was aber das deutsche Volk betrifft, dessen Sprache wir sprechen und pflegen, so können diejenigen von uns, die auch heute den Mut haben zu bekennen, daß sie es geliebt haben, […] nichts besseres tun, als schweigend ihr Haupt in Trauer und Scham zu verhüllen” (Aufbau, 7. 6. 1940).

Viele Exilschriftsteller nahmen in den Seiten des Aufbau an der Diskussion teil. “Ein Schriftsteller vermag wohl sein Land zu verlassen, nie aber kann er sich lösen von der Sprache, die in ihm denkt und schafft”, schrieb Stefan Zweig (Aufbau, 16. 5. 1941). Ernst Toller brachte es auf den Punkt: “Was ist denn ein Schriftsteller, der nicht mehr in seiner Sprache gedruckt und gelesen werden kann”, und Bruno Frank erklärte: “Unsere Aufgabe im Exil ist es, die deutsche Sprache über eine Periode der Verschmutzung und Verwüstung hinwegzutragen” (Aufbau, 27. 12. 1940).

Oskar Maria Graf sprach in den frühen fünfziger Jahren im Aufbau noch von einer anderen Aufgabe: “Es wollte mir vorkommen, als ginge es gar nicht mehr um das Deutsche, sondern einzig und allein um das Zurückfinden ins Menschliche bei allen Völkern.”

Ganz im Sinne des Aufbau kamen nicht nur Schriftsteller zu Wort. “Kann man wirklich auf die Sprache verzichten?” fragte ein Leser in einem Brief an die Redaktion (Aufbau, 18. 8. 1950). “Wir würden, wenn wir die deutsche Sprache vergäßen, trotz des Erwerbes der englischen Sprache, ärmer werden als vorher. Die deutsche Sprache dürfen wir uns nicht nehmen lassen, von keinem Hitler, aber auch von keinem Hitlergegner.” Ein anderer Leser bemerkte trocken: “Wer von uns neben der erlernten englischen Sprache die Pflege des Deutschen beibehält, wird dadurch nicht ein schlechterer Patriot, sondern ein gebildeterer Amerikaner” (Aufbau, 26. 7. 1946).

Die Identifizierung mit der deutschen Sprache und Kultur hielt nicht lange an: Schon die Kinder der deutsch-jüdischen Einwanderer konnten in der Mehrheit weder Deutsch, noch sahen sie sich mit dem deutschen Kulturerbe verbunden. Und auch das obligatorische nachmittägliche Kaffeekränzchen der Eltern und deren Vorstellung von Gemütlichkeit befremdete sie. Manfred George erkannte dieses Dilemma schon früh: “Freilich, das Deutsche wird in dem gleichen Maße versinken, in dem das Amerikanische es ersetzen wird, aber dieser Prozeß vollzieht sich auf der unveränderten Basis des Jude-Gewesenseins, -Seins und -Bleibens” (Aufbau-Almanach 1941).

Aufbau 1938
Aufbau Anzeige, Mai 1938

Die ersten zehn Jahre des Aufbau geben einen faszinierenden Einblick in die sich rapide wandelnden Belange der deutschen Juden in Amerika. In den frühen dreißiger Jahren sprach man nur von “refugees”, “Emigranten” und “Emigration”, ganz so, als sehe man sich bald wieder zurückkehren nach Deutschland, wenn der ganze Spuk nur erst vorbei wäre. Dann aber propagierten die Redakteure nur noch die “Immigration”, die Assimilierung und schnelle Amerikanisierung der Einwanderer.

Mitte der dreißiger Jahre kam es zu Spannungen zwischen den deutsch-jüdischen Einwanderern. “Leider haben die deutschen Juden, zum Teil durch ihr heißes Bemühen, sich [in Deutschland] zu assimilieren, sich die deutsche Wesenseigentümlichkeit des Grübelns, der Schwerfälligkeit und der reaktionären Gesinnung viel zu sehr zu eigen gemacht”, hieß es im Leitartikel des Aufbau vom 1. 8. 1936. “Welche Freundlichkeit, Ruhe und Rücksichtnahme herrscht hier [in Amerika] im gegenseitigen Verkehr […] Der Unterschied wird einem sofort bewußt, wenn man sich einen Tanzabend […] im Central Park vorstellt und daneben ein Tanzvergnügen in Berlin in der Hasenheide. Verglichen mit [dem Central Park], der jede Art von Publikum anlockt, kann man sich doch gar nichts Roheres und Kulturloseres vorstellen als den Tanz in der Hasenheide. Was aber nützt eine Kultur, die nur für die oberen Zehntausend da ist?”

Doch die Entzweiung ging tiefer. “Es gibt in New York eine Klasse von wohlhabenden Emigranten—Gott weiß, wie sie ihr Geld nach Amerika gerettet haben”, hieß es auf der Titelseite des Aufbau vom 1. 1. 1937. “Sie leben noch genauso gedankenlos dahin wie in Deutschland […] Sie sind gar nicht emigriert, sie sind einfach nach New York umgezogen. Unerhörtes ist in Deutschland vor sich gegangen […] Hat sie das irgendwie aufgerüttelt? Nein. Sie haben ihr Domizil gewechselt und leben genauso weiter wie vorher […] Die deutsch-jüdische Emigration ist nach wie vor klassenmäßig geschichtet.”

Auch kam es zu Spannungen zwischen den Einwanderern, die sich aktiv am German-Jewish Club beteiligten, um zu helfen und um sich helfen zu lassen, und denen, die “weiter in den Ideen [leben], von denen sie in Deutschland beherrscht wurden und an die sie sich zum Teil verzweifelt klammern in der Annahme, durch sie ihre intellektuelle, bürgerliche, standesgemäße, oder wie wir es immer nennen wollen, Selbstherrlichkeit zu bewahren” (Aufbau, 1. 4. 1936). Das Blatt rief dazu auf, die einzelnen Splittergruppen und lokalen Vereine der deutsch-jüdischen Emigration zusammenzuführen. Es sollte ihm in den nächsten Jahren gelingen.

New York 1938 AufbauNach Eintritt Amerikas in den Krieg durchzog den Aufbau ein glühender Patriotismus und uneingeschränkte Loyalität zu Amerika. Die Neueinwanderer wurden zu einer homogenen Gruppe. Vergessen waren die Querelen der dreißiger Jahre: Jeder saß im selben Boot. Viele Aufbau Leser antworteten auf Inserate im Aufbau (“Wollen Sie Ihre Verwandten hier haben?”), in denen Hilfe bei der Auswanderung und Reise in die USA für Verwandte aus Deutschland angeboten wurden.

Aufbau-Leser sammelten Landkarten und Fotos aus der alten Heimat und stellten sie dem US-Kriegsministerium zur Verfügung, sie kauften War Bonds und gründeten den Immigrants’ Victory Council—die “Zentralstelle zur Aktivierung und Intensivierung des Kampfes aller Immigranten an der Homefront” unter der Leitung Manfred Georges, und sie spendeten der US-Armee ein Kampfflugzeug, das sie “Loyalty” tauften. “Herz und Hirn sind erfüllt von dem einen Gedanken”, proklamierte der Aufbau am 12. 12. 1941 stolz: “Durch dick und dünn für die Verteidigung Amerikas!”

Will Schaber
Aufbau Redakteur Will Schaber, um 1996

In den späten vierziger Jahren wurde der Aufbau, der inzwischen in vielen Ländern gelesen wurde, ein unermüdlicher Chronist der Zeit. Es gab Rubriken wie “Gesucht wird” und das “Search Center”, in denen Listen amerikanischer Behörden und offizielle Aufrufe abgedruckt wurden. Der Aufbau übermittelte oder veröffentlichte Briefe und Fotos und führte so Familien zusammen. Darüber hinaus berichtete der Aufbau sehr früh über die Massenvernichtung der Juden in Europa und wurde dafür anfänglich von ungläubigen Lesern “Aufbausch” genannt. Die Zeitung veröffentlichte die Namen der aus den Konzentrationslagern Geretteten, druckte Fotos von der Befreiung Bergen-Belsens, Namenslisten von Kindertransporten und Totenlisten aus den Ghettos und den Sammellagern. Doch die Sucharbeit des Aufbau fing nach dem Krieg erst richtig an.

Bis 2003, als der Aufbau noch in New York erschien, setzte sich die Zeitung für den Brückenbau und den Dialog zwischen amerikanischen Juden und Deutschland ein. Dabei war der Aufbau noch immer ein Zufluchtsort für die letzten noch lebenden deutschen Juden in New York. Doch viele junge, meist nichtjüdische Leser in Deutschland sahen den Aufbau verträumt als schrulliges Überbleibsel einer “versunkenen Welt”.

Frederick Lachman besucht den Aufbau, 1998. Links im Bild: Tekla Szymanski

Das erboste Frederick R. Lachman. Lachman war ein langjähriger Mitarbeiter des Aufbau und Verfasser der Kolumne “Was das Judentum dazu sagt”. Der 1902 Geborene sagte mir kurz vor seinem Tod vor einigen Jahren, als das Ende der Zeitung schon besiegelt schien: “Kindchen, das ganze Problem des Aufbau ist, daß man glaubt, die deutschen Juden hätten mit den Nazis angefangen. Das deutsche Judentum hat das Recht auf seine eigene Geschichte, die viel früher anfängt, als man denkt, indem man ihre ungeheuere kulturelle und intellektuelle Leistung in der Vor-Hitlerzeit herausschält. Sie können nicht zu irgendeinem weinerlichen, sentimentalen Bewährten zurückgehen.”

Heute erscheint der Aufbau nicht mehr in New York; er wird seit Januar 2005 als Monatsmagazin auf Hochglanzpapier in der Schweiz herausgegeben. Dieser neue Aufbau hat mit der legendären Immigrantenzeitung nur noch den Namen gemein, denn der New Yorker Aufbau sollte, laut Manfred George, “eine amerikanisch-jüdische Zeitschrift in deutscher und englischer Sprache” sein, herausgegeben “in der Neuen Welt, [der] Schatzkammer des alten Europa”.

Die Dame, die uns immer so höflich nach der Uhrzeit gefragt hat, wird in der Redaktion in der Schweiz wohl nicht mehr anrufen. Vielleicht lebt sie auch schon nicht mehr.

Die Aufbau Redaktion in den 1990er Jahren, 2121 Broadway, New York. Fotos: Tekla Szymanski. (Zum Vergrößern auf die Bilder klicken)

 

 

 

 

 

 

 

Nachtrag

Lisa Schwarz
Lisa Schwarz, eine langjährige Mitarbeiterin des Aufbau und selbst ein Unikat.

Nach Erscheinen dieses Artikels im Jüdischen Almanach, erhielt ich einen Brief vom neuen Aufbau in der Schweiz, in dem beklagt wurde, ich sei auf die aktuelle Wendung des altneuen Aufbau nicht genügend eingegangen. Außerdem hätte ich den Schluss des Textes—der neue Aufbau habe mit der legendären New Yorker Zeitung nur den Namen gemein—nicht neutral und faktengerecht formuliert, sondern mit den letzten Zeilen die neuen Inhaber, Mitarbeiter und Intentionen diskreditiert.

Ich bringe hier einige Auszüge aus meinem Antwortschreiben:


“Ich schätze es sehr, dass Sie sich 
AUFBAU angenommen haben! Es wird nicht leicht sein, aber Sie haben den Vorteil, dass Sie Ihre Vorsätze und Ideen rigoros umsetzen können, was uns im damaligen Klima, als der AUFBAU noch in New York trotz enormer finanzieller Engpässe erschien, unmöglich war [ich war von 1995-1999 Redakteurin und später Chef-vom Dienst beim AUFBAU].

Die Schwierigkeiten, die wir durchstanden haben, die Enttäuschungen, die wir hinnehmen mussten, die vielen Tränen, die wir weinten, als wir wieder einmal vor einem Aus zu stehen schienen, können Sie nicht nachvollziehen. Lesen Sie auch nicht zwischen den Zeilen meines Artikels, “der AUFBAU[sei] eine von geldorientierten Schweizer Investoren herausgegebene Hochglanzpostille, die mit einem alten Namen und inhaltlicher Ignoranz hausieren geht.” Sie tun damit mir—und Ihnen—Unrecht.

Ich wiederum kann nicht beurteilen, ob die “jeckischen Werte und Traditionen für die Zukunft” im neuen AUFBAU effektiv adoptiert werden können. Das war auch nicht mein vorgegebenes Thema im Jüdischen Almanach.

Tekla Szymanski beim Seitenumbruch, um 1996.

Ich glaube fest, dass die jetzige Inkarnation der Zeitung zwar etwas ganz Anderes, aber etwas durchaus Mutiges ist!

Der legendäre AUFBAU jedoch ist es nicht, kann es nicht sein—und sollte es nicht sein.

Die Bindung an die USA und an das Klima der Erneuerung in New York, dem Schmelztiegel der Immigranten aus aller Welt, diese gelebte tägliche Realität hat das Entstehen des AUFBAU in den dreißiger Jahren erst ermöglicht.

Sie wird dem neuen Schweizer AUFBAU fehlen.”

 

Mehr zum Thema:

Archivierte Ausgaben des Aufbau 1934-2004
Leo Baeck Institute

Aufbau Indexing Project Diese Datei enthält rund 57.000 Namen, die im Aufbau zwischen 1941 und 2003 erwähnt wurden.

Deutsches Exilarchiv 1933-1945: Dauerausstellung “Exil. Erfahrung und Zeugnis”

 

Die Geschichte der Juden in New York: Herz der Welt

Searching for German-Jews in New York

 

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